Der Cannolo Siciliano und das Warten

Ciao a tutti!

Gerade jetzt wo wir alle zu Hause bleiben müssen, steigt bei mir die Sehnsucht nach einem Espresso und einem Cannolo Siciliano. Natürlich in Gesellschaft und auf der Terrasse der Cannoleria Siciliana in meinem Stadtviertel. Einfach nur dort sitzen, die sizilianische Köstlichkeit und das Leben genießen, das wäre es jetzt!

Wir alle warten wohl derzeit sehnsüchtig auf diesen Moment, in dem wir wieder unter Leute können und er wird kommen. In der Zwischenzeit möchte ich die Entstehungsgeschichte des Cannolo Siciliano (ein frittiertes und mit Ricottacreme gefülltes Röllchen) für euch erzählen, denn auch sie hat viel mit Warten zu tun und zeigt, dass auch die längste Wartezeit etwas positives bzw. in diesem Fall sehr leckeres hervorbringen kann.

Um die Entstehung des Cannolo Siciliano ranken sich zwei unterschiedliche Legenden. Während die eine die Entstehung der sizilianischen Köstlichkeit auf ein Kloster in Caltinasetta auf Sizilien und deren erfinderische Nonnen zurückführt, beschreibt die zweite Legende eine beiweitem interessantere Entstehungsgeschichte. Wie diese zweite Legende mit den Nonnen zusammenhängt und welchen Faktor das Warten darin spielt, werden wir gleich herausfinden.

Laut der Legende wurden die Cannoli Siciliani nämlich keineswegs von frommen Nonnen, sondern von den Haremsdamen des damals auf Sizilien herrschenden arabischen Emirs erfunden. Demnach fällt die Entstehung des Gebäcks in die Zeit der arabischen Herrschaft auf Sizilien, die von 827 bis 1091 andauerte.

Die Araber brachten damals viele Neuerungen und Innovationen auf die Insel, vor allem aber in der Kunst und der Küche. Daher gab es auf Sizilien damals, anders als im Rest des heutigen Italiens, bereits Spezialitäten wie Zimt, Safran oder Rohrzucker. Diese Zutaten fanden natürlich alle den Weg in die Konditoreien, weshalb dieses Handwerk auf Sizilien besonders ausgeprägt war und auch heutzutage immer noch ist.

Als die Araber zu Beginn ihrer Herrschaft auf Sizilien landeten, produzierten die Einheimischen bereits Ricotta aus Schafmilch. Dieses Produkt war selbst in der römischen Antike schon ein bekanntes Produkt der Insel und wurde später dann eine wichtige Zutat für die Cannoli Siciliani.

Aber nun zurück zur Entstehungsgeschichte des berühmten Dolce. Zu arabischer Zeit gab es in der Stadt Caltinasetta, damals unter dem Namen „Kalt el Nissa“ (dt. Kastell der Frauen) bekannt, ein Kastell, in dem der Emir mit seinem Harem wohnte. Da die Araber oft zur See fuhren, war der Emir mit seinen Männern oft unterwegs und die Haremsdamen alleine im Kastell. Um sich die Wartezeit bis zur Rückkehr der Männer zu vertreiben, beschäftigten die Haremsdamen sich unter anderem mit Kochen. In dieser Zeit experimentierten sie gerne, immer auf der Suche nach leckeren Gerichten mit denen sie den Emir und seine Männer bei ihrer Rückkehr verwöhnen konnten. So entstand der Legende nach ein aus Mehl, Kakao, Butter, Zucker, Milch und Marsala hergestellter Teig. Dieser wurde in kleine Blechhülsen gepresst und anschließend knusprig frittiert. Der Vorteil dieser Knusperrollen war, dass sie problemlos längere Zeit aufbewahrt werden konnten.

So warteten die Haremsdamen nun auf die Rückkehr der Männer und sobald diese vom Kastell aus in der Ferne sichtbar wurden, konnten die Damen in der noch verbleibenden Zeit schnell die markante Creme aus Ricotta, Pistazien, kandierten Früchten und dunkler Schokoladensplitter anrühren und in die Rollen füllen. Fertig waren die Cannoli Siciliani. Mit dieser Köstlichkeit begrüßten sie dann nach langer Wartezeit die zurückkehrenden Männer.

Woher stammt dann aber die andere Legende, die den Nonnen die Erfindung des Cannolo Siciliano zuschreibt? Das ist einfach erklärt. Denn als im Jahr 1086 die Normannen das arabische Kastell in Caltinasetta eroberten und somit das Christentum nach Sizilien brachten, flüchteten die Haremsdamen. Sie traten zum Christentum über und fanden Zuflucht in den umliegenden Klöstern der Stadt. Dort tauchten die Cannoli Siciliani alsbald wieder auf und galten seitdem als Erfindung der Nonnen.

Dass die Cannoli Siciliani ihren Ursprung bei den Haremsdamen des arabischen Emirs haben müssen, belegte Herzog Alberto Denti di Pirajno, bekannter Förderer der sizilianischen Küche in seinem Werk „Siciliani a tavola“. Dort kam er zu dem Schluss, dass die Cannoli aufgrund der Variation von verschiedensten Gewürzen und der außergewöhnlichen Komponenten keinen abendländischen Ursprung haben können, sondern nur aus dem arabischen Raum abstammen können. Somit ist die Erfindung der sizilianischen Köstlichkeit eindeutig den Haremsdamen von Caltinasetta oder Kalt El Nissa, wie die Stadt damals hieß, zu verdanken. Hätten diese sich die Wartezeit damals nicht mit Kochen vertrieben, wären wir heute um eine kulinarische Spezialität ärmer.

Daher werde ich mir ein Beispiel an den erfinderischen Araberinnen nehmen und die Wartezeit bis zum Ende der Ausgangssperre überwiegend auch in der Küche verbringen und dort ein bisschen experimentieren. Wer weiß welche Köstlichkeiten also in nächster Zeit entstehen werden 😉 Sicher ist allerdings, dass die Zeit des Stillstandes, des Wartens, uns auch die Möglichkeit bietet, daraus etwas Neues entstehen zu lassen.

In diesem Sinne: Bleibt zu Hause, bleibt gesund und nutzt die Zeit für euch!

Alla prossima volta

Miriam

P.S.: Der Stadt Caltinasetta haben wir neben den Cannoli Siciliani auch noch den allseits beliebten Ramazotti zu verdanken. Diesen produziert die Familie Averna dort seit Anfang des 19. Jahrhunderts.

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